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Alte Meister que(e)r gelesen

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Alte Meister que(e)r gelesen

Die Ausstellung „Alte Meister que(e)r gelesen“ und der begleitende Katalog eröffnen einen spannenden Dialog zwischen historischen Kunstwerken und aktuellen gesellschaftlichen Diskussionen über Geschlecht, Sexualität und Körperbilder. Der Katalog präsentiert Werke, die zwischen der Antike und dem späten 18. Jahrhundert entstanden sind, und bietet eine neue, queere Perspektive auf diese Kunst. Ziel der Ausstellung und des Buches ist es, traditionelle, heteronormative Sichtweisen auf Kunst in Frage zu stellen und alternative Deutungen anzuregen, die den historischen Kontext neu beleuchten.

Ein zentrales Thema des Buches ist die Frage, wie queere Identitäten und nicht-normative Lebensentwürfe in der Kunstgeschichte dargestellt wurden, auch wenn die Gesellschaften, in denen diese Kunstwerke entstanden, oftmals von patriarchalen und heteronormativen Strukturen geprägt waren. Die Ausstellung und der Katalog laden dazu ein, Kunstwerke von Meistern wie Tizian, Rubens oder Tischbein neu zu betrachten und die Ambivalenz ihrer Bildsprache zu hinterfragen. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Möglichkeit, dass vermeintlich klare Geschlechterrollen und sexuelle Normen in den Darstellungen auf subtile Weise untergraben oder umgekehrt werden.

Ein Beispiel dafür ist die mythische Erzählung von Jupiter, der sich in die Göttin Diana verwandelt, um die Nymphe Kallisto zu verführen. In der Kunstgeschichte, besonders in Gemälden von Tizian und anderen Meistern, wird dieses Motiv oft als Darstellung weiblicher Homoerotik interpretiert, obwohl die literarische Vorlage von Ovid keine solche Interpretation nahelegt. Der Katalog hinterfragt diese Lesart und untersucht, wie das patriarchal-heterosexuelle Blickregime in der Kunstgeschichte dazu geführt hat, queere Deutungen zu ignorieren oder zu verfälschen.

Ein weiteres interessantes Beispiel ist die Darstellung des griechischen Helden Herkules, der in einigen Werken in Frauenkleidung erscheint, während seine Geliebte Omphale seine Rolle als starker Krieger übernimmt. Diese Umkehrung der Geschlechterrollen wird in der Ausstellung und im Katalog als Ausdruck einer subtilen gesellschaftlichen Angst vor weiblicher Macht interpretiert. Die Darstellungen männlicher „Weichheit“ und „Verweiblichung“ dienen dabei oft dazu, Heteronormativität zu verteidigen und den männlichen Machtverlust zu thematisieren.

Neben diesen bekannten Mythen werden auch weniger bekannte Geschichten und Bildmotive vorgestellt, die in den Kontext von queeren Lebenswelten gesetzt werden. So untersucht der Katalog die homoerotischen Konnotationen in der alttestamentarischen Freundschaft zwischen David und Jonathan sowie die Rolle von Dionysos, dem Gott des Rausches und der sexuellen Ausschweifung, der oft als Symbol für nonkonforme Lebensentwürfe gilt.

Die Methode des Queer Readings, die in diesem Band eine zentrale Rolle spielt, ermöglicht es, Kunstwerke unter neuen Gesichtspunkten zu betrachten und Deutungsmuster aufzubrechen, die von einer heteronormativen und patriarchalen Geschichtsschreibung geprägt sind. Der Katalog stellt klar, dass dies keine postmoderne Erfindung ist, sondern eine lange Tradition in der Kunstbetrachtung hat, die zurück bis in die italienische Renaissance reicht. Bereits damals wurden Frauen, die lesbische Beziehungen führten, mit der Göttin Diana in Verbindung gebracht, was auf die komplexe Rolle verweist, die weibliche Homoerotik in der Kunstgeschichte spielte.

Der Katalog und die Ausstellung „Alte Meister que(e)r gelesen“ eröffnen neue Perspektiven auf die Kunstgeschichte und bieten Raum für eine vielfältige Interpretation von historischen Kunstwerken. Der Band vereint Beiträge verschiedener Expert*innen, die von klassischen Katalogtexten bis hin zu Interviews reichen, und öffnet so den Raum für individuelle Erkundungen der Mehrdeutigkeit von Bildsprachen.

Mit seinem umfangreichen Bildmaterial und den tiefgehenden Analysen ist der Katalog eine wertvolle Ergänzung zur Ausstellung und ein wichtiger Beitrag zur Diskussion über Queerness in der Kunstgeschichte. Dabei wird deutlich, dass Kunst stets ein Produkt ihrer Zeit ist, aber auch die Möglichkeit bietet, starre Normen und Vorstellungen zu hinterfragen und neu zu definieren.

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